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Im Öffentlichen wie im Privaten verstellen Bilder den Blick - Tendenz steigend. War TV bislang nur Opium fürs Volk, nun sind Computer Ecstasy für User. Die hypnotisierende Macht der Neuen Bilder liegt weniger in ihrer Informierungsgewalt, sondern in der Wucht ihres Aufflackerns und in den nicht sichtbaren, einprogrammierten Absichten, die die Nutzer in Echtzeit beglücken. Ob Direktkommunikation, Suche-und-Finde-Optionen oder Videospiele, ob Tele-Sex, Homebanking oder Gender-Hopping, das Digital hält alle auf Trab. Zwischen virtuell erfüllten Utopien und telematischem Science Fiction wird die Gegenwart zum Möglichkeitsfeld des morgigen Jetzt. Die technologischen Implatate sind ein Testfall der Zukunft.

Selbst wer weiß, wie die virtuellen Welten zustandekommen und weshalb die Komputationen und Programme so und nicht anders sind, wird, selbst wenn er sie zu seinen Gunsten umprogrammiert, auch weiterhin den Strukturen treu bleiben müssen, die das Digital prägen. Seien die Strukturen ideologisch oder konsumtiv gefärbt, sie bewirken programmierende, imperative ´Hörigkeit´. Sie zu durchschauen, fordert Flusser zu Recht Bildunterricht (vgl. 1992b, 55). Will der Nutzer Herr der Bilder sein, hat er aber weder das Wissen noch das Wissen-Wollen ins Zentrum seines Strebens zu stellen. Die Bilder wollen weder interpretiert noch anayisiert werden, denn die Wahrnehmungsbedingung des Digitals ist nicht das Geistige, sondern das körperlich Sinnliche. Spielen die Apparate auf der ´Tastatur der Sinne´, so ist der Unmittelbarkeit dieses Wirkens ´entgegenzuspüren´.

Der Bilderoberer hat sich auf die Wirkung der Bilder einzulassen, er hat das in ihnen Vermittelte körperlich zu erleiden und dadurch komplex zu transzendieren. Es besteht, so ja auch Roman Herzog in seiner ´Berliner Rede´ vom 27.4.1997, ´ kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem´: Die Wahrnehmungswelten erzwingen eine komplexe Haltung, die der Stimmung, die sie verbreiten, gerecht wird. Die Digitalhermeneutik geht dann in der Tat neu mit dem Erkennen um - sie erobert die Sinne. Erst eine körpernahe Wahrnehmung führt aus der Programmhörigkeit heraus und Medienkunde hat folglich - allen anderen Sinnen voran - das Sehen zu trainieren. Dem hype der totalen Völkerverständigung gewachsen zu sein, bedarf es einer Sinnesschärfung, die die menschliche komplexe Datenverarbeitung zu ihrem Recht kommen läß.

Welche Lebensmodelle aber stehen in Aussicht, wenn einerseits Bildschirme zum Interface einer sensuellen Urteilskraft werden und andererseits die bislang gültigen Weltbilder und Verbindlichkeiten der Entropie verfallen? Die den Oberflächen der Bildschirme genügende Realitätsrezeption und das Desinteresse an gesellschaftlichem Engagement wird zwar flächendeckend bedauert, das kulturpessimistische Wehklagen selbst aber wird nicht transzendiert. Selbst die Erosion noch des kriegerischen rechts-links-Denkens jedoch markiert nicht schon Ende der Politik, sie scheint die Politik vielmehr selbst zu transformieren: Ins Apolitische, Aperspektivische, Situative, Emotionale, Egozentrierte und Gruppendynamische. Die politischen Koordinaten scheinen auf dem planet ultra mit digitaler Kultur, mit wahrnehmungsgeleitetem Handeln und global-urbanen Parties zusammenzufallen. Zwischen Dauerapokalyse, Schell-Studie und digitalem Freizeitpark entwickelt sich eine (politische) Gemengelage, für die sich der historische Begriff des Politischen als untauglich zu erweisen beginnt: Das Virtuelle selbst wird zum Labor des Aktionismus und die Komputation zur politischen Strategie. Noch mag sich die explosive Kraft der Komputation erst sammeln, der - auch realweltliche - Überraschungscoup aber wird, dem Gesetz der Unwahrscheinlicheit folgend, kaum eine Verlängerung des Alten sein.

Den mutmaßlichen kulturellen und politischen Umorientierungen zu folgen, scheinen statistische Hochrechnungen und auf bewährten Modellen bauende Zukunftsplanungen ungeeignet, denn sie operieren mit dem Bekannten, mit dem schon Wahrscheinlichen. Die sozialen Verhältnisse verändern sich schneller als die soziologischen Modelle. Wenn es folglich in Zeiten der Komplexitätsemergenz ´nicht Aufgabe der Theorie sein kann, Komplexität wegzuerklären´ (vgl. Winkler 1997, 335), steht die Wissenschaft umsomehr unter Zugzwang: Die Soziologie, so Kamper, ´versucht ihre Realitätskonstrukte zu retten - und sei es um den Preis einer Blockade der Wahrnehmung´ (vgl. 1986, 12). Beck betrachtet die Soziologie als eine "teure Subventionierung gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten" (1993, 273) und Luhmann hält Soziologie und Gesellschaft sogar bereits für "inkompatibel". Es würde "die Soziologie zur Krankheit der Gesellschaft und die Gesellschaft zur Krankheit der Soziologie" (1988, 505). Flusser schließlich kritisiert, "es ist bezeichnend für die meisten Soziologen und Kulturkritiker, daß sie sich für den Zerfall der hergebrachten Gesellschaftstrukur mehr interessieren als für das Emportauchen der neuen; daß sie mehr auf das Krachen des Eises als auf das emportauchende Unterseeboot achten. Daher sprechen sie von einem Verfall der Gesellschaft, statt von der neuen Gesellschaft zu sprechen. Sie kritisieren die zerfallenden Strukturen, anstatt die neuen zu kritisieren ... Die Erklärung für diese Verblendung der Kritik ist leicht zu finden. Die zerfallenden Gesellschaftsformen sind ´interessanter´ als die neuen, da sie von Gewohnheit geheiligt sind" (1990, 53).

Die Analysen passen zusehends schwerer auf den Gegenstand, den sie untersuchen. So diagnostizieren die Kulturwissenschaften das Tun der Komputatoren eher als Rückenschmerzen verursachend denn als Wahrnehmunganforderung. Wer aber wissen will, wohin der digitale Wind weht, hat sich auf die Komputationen einzulassen, die rückwirkend das Verhalten prägen. Flusser fordert für die "künftige Soziologie, daß sie den Menschen aus dem Zentrum zum Horizont ihres Blickfelds verschieben muß, und dies gerade, wenn sie an der Erhaltung der menschlichen Freiheit und Würde engagiert ist" (1990, 45): Will man etwas über den Menschen erfahren, sind die Bilder zu untersuchen, die auf die Leinwand des Bewußtseins flackern. "Die Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle und Kenntnisse des Menschen sind vom technischen Bild her zu erklären" (ebd.) - von Spielfilmen, Simulationen, Komputationen, Hypertextbildern etc.. Dem Menschen ist authentischer durch die Bilder auf die Spur zu kommen als durch realweltliche Feldforschung, da sie seine doublehaften und übersteigerten Projektionen sind. Kittler legt denn auch nahe, "Macht nicht mehr wie üblich als eine Funktion der Gesellschaft zu denken, sondern eher umgekehrt die Soziologie von den Chiparchitekturen her aufzubauen" (Kittler 1993, 215).

Da Komputationen Unwahrscheinliches wahrscheinlich und damit eine potentielle Zukunft zur Gegenwart machen, hat sich die Gesellschaftsanalyse dieser potentiellen Zukunft zu stellen. Besser noch: Sie muß ihr zuvorkommen. Wenn es nicht genügen soll, die ´Verwirklichung unserer Kulturmöglichkeiten zu verzögern´ (vgl. Flusser 1990b, 142f), sondern darum geht, kompetent zu sein, die sich potentiell verwirklichenden Kulturmöglichkeiten gegebenenfalls zu verhindern, sind die Spielregeln der digitalen Verwirklichungsmaschinerie selbst zu transformieren. Dazu will der auf die Zukunft gerichtete, innovationsversessene Blick einerseits als paranoider Komputationszwang entlarvt sein, andererseits aber transkomputativ eingeholt werden.

Die Wahrnehmung auch soziologisch zu intensivieren, heißt, sich auf die Redundanzen, die bislang in den wissenschaftlichen Modellen unberücksichtigt bleiben mußten, zu konzentrieren und sie mit den komputierten Bildredundanzen zu decken: Die Soziologie hat, um die Stimmungslage der Komputatoren zu analysieren, jene Komputationen aufspüren, die wahrscheinlich wahrscheinlich werden. Um gesellschaftliche Tendenzen aufzuspüren, sind dem ´Rauschen´ der Bilder dank des ´musikalischen Verständnisses´ einerseits Unwahrscheinlichkeiten zu entnehmen, andererseits sind Unwahrscheinlichkeiten auch selbst zu setzen. Sie lassen sich komputativ verdichten, wonach zu überlegen ist, wie wahrscheinlich die Anlage der Gegenwart für eine Verwirklichung der projizierten Komputation ist.

Will die Soziologie, die ohnehin allerorts Unübersichtlichkeit ortet, wissen, was Chaos ist, tut sie gut daran, selbst Chaos - und damit Komplexität - zu erzeugen: um eventuelle ihm anhaftende Strukturen selbstwahrnehmend bearbeiten zu können. Luhmann will die Kommunikation der Soziologie nicht zu Unrecht  ´auf den Umweg des Paradoxierens schicken - wie ein Therapeut´ (vgl. 1996, 214f). Nicht nach Sicherheit und Beweisbarkeit strebt die nachgeschichtliche Methode der Soziologie, sondern nach Flexibilität und Widerspruch. Nicht vom Gegebenen nährt sich die Strategie, sondern vom Unwahrscheinlichen, von Überraschungen. Die Soziologie also muß, ohne die gesellschaftliche ´Weltformel´ finden zu wollen, selbst komputieren, will sie den ohnehin stattfindenden Komputationsfluten beikommen.

 Es ist zweierlei, ob ich die Gegenwart durch die Vergangenheit oder durch die in der Gegenwart lauernden Potentiale einer sich entwickelnden Zukunft definiere. Sich für letzteres zu entscheiden, markiert die Bruchstelle zum Nachgeschichtlichen. Während sich die Theorie rühmt, noch in der sogenannten Realität ´seßhaft´ zu sein, hat die Nachgeschichte die Geschichte, die Zeit, den Sinn und die facts längst virtualisiert. Da die soziale Beschleunigung komputativ längst in Richtung Zukunft jagt, entziehen sich die Virtualitätsnutzer noch der irdischen Schwerkraft: Das Digital feiert einen Neustart der Gegenwart unter komputativen Vorzeichen. Nicht mehr rückwärtsgewandt, sondern zukunftsorientiert werden Möglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten projiziert - wie auch immer gearteter Sinn verstopft die Kanäle. Die Bild- und Sinnfragmente des Datendickichts sind folglich - auch seitens der Soziologie - in ihrer Fraktalität auf ihre Zukunftsträchtigkeit und -tauglichkeit hin zu prüfen und gegebenenfalls wahrscheinlich zu machen beziehungsweise zu vermeiden. Eine die Nachgeschichte transzendierende Soziologie säße im ´Zeitalter der Komputation´ als Leitwissenschaft am ´Sinfonie-Ticker´ in der ersten Reihe. Ihr würde die Aufgabe zuteil, den kollektiven Bilderrausch zu betreuen.

 In der Sicht des Nachgeschichtlers blockiert die Vergangenheit wie ein Granitblock die Weiterentwicklung der Gegenwart, wodurch das zukunftsgerichtete Handeln erlahmt. Die entropisierten Reste menschlich komplexer Eigenheit werden verschüttet, wenn die in der Gegenwart sich auftuenden Horizonte blockiert werden. So scheint die Politikverdrossenheit durch Vergangenheitsverdrossenheit überboten werden zu müssen. Da davon auszugehen ist, daß die aus dem ´Off´ (des Unwahrscheinlichen beziehungsweise der Zukunft) wahrscheinlich gemachten Bilder extrem zunehmen werden, da darüber hinaus zu hoffen wäre, der ´verlustig gegangene Sinn´ und der Werteverlust möge - in welcher Form auch immer - wieder zu sich kommen, ergibt sich die Forderung, erstens aktiv wie auch immer gearteten Sinn gegen die gegenwärtig werdende Zukunft zu projizieren, und zweitens das Wahrscheinlichwerden dieser Unwahrscheinlichkeiten bezüglich ihrer Verantwortbarkeit zu prüfen. Diese Taktik des kritischen Komputierens wäre eine ´Soziologie der Nachgeschichte´. 

Nichts anderes tut Flusser. Er betreibt nicht-soziologische, Soziologie übertreffende Soziologie. Er entwirft ein komplexes Geflecht möglicher Unwahrscheinlichkeiten und testet deren potentielle Verwirklichung am gegenwärtig ´laufenden Programm´. Dabei erhebt er nicht den Anspruch nach ´letzten Wahrheiten´ oder den einer Zukunftvorhersage. Er betont, es "strahlt ... jedes Phänomen unendlich viele Tendenzen aus, es ist eingehüllt in eine Wolke von Zukunft ... Ich habe einige unter diesen Möglichkeiten gewählt und alle anderen vernachlässigt, wobei mein Kriterium die Wahrscheinlichkeit war: Die vernachlässigten Möglichkeiten hielt ich für unwahrscheinlich. Aber dieses Kriterium widerspricht all dem, was ich in diesem Essay [´Ins Universum der technischen Bilder´ 1990] zu sagen versuchte: daß wir uns nämlich gerade für das Unwahrscheinliche interessieren. Indem dieser Essay voraussagt, widerspricht er seiner eigenen These" (1990, 134): Es ist nichts vorhersehbar, Unwahrscheinlichkeiten sind nur bezüglich ihres wahrscheinlichen Wahrscheinlichwerdens abklopfbar. Eine ´Soziologie der Nachgeschichte´ also spielt mit Mutmaßungen und hat weder Angst vor Paradoxien noch vor Sinnlosigkeit. Stattdessen versucht sie entscheidende, ´wahrscheinlich gegenwärtig werdende Unwahrscheinlichkeiten´ auszuleuchten. Flusser führt dies Spiel des Homo Ludens exemplarisch vor. Er entzieht sich durch die ´Lust am Paradox´ einerseits der Verbindlichkeit, treibt aber andererseits das Denken in eine zeitgemäß komplexe Emergenz: Man darf Flusser nicht ernst nehmen, erst dann nimmt man ihn ernst.

Sosehr sich Flusser auf einige Wahrscheinlichkeiten des kulturellen Werdens konzentrierte, andere entscheidende, längst wahrscheinlich gewordene Unwahrscheinlichkeiten freilich ignorierte er rigoros: Die aus den letzten Jahrhunderten stammende, doch nachgeschichtlich erst komputierend zu prüfende Fortschrittsgläubigkeit übernahm er vorbehaltlos. Auch macht er die Rechnung ohne die ideologisch vergiftete und marktwirtschaftlich neurotisierte Gegenwart. Stattdessen benutzt er das zweifelhafte, nur im technisch-physikalischen Bereich akute Phänomen der Entropie selbst ideologisch. Mit der Entropie legitimiert er die Notwendigkeit des Komputierens, ohne aber dadurch den entropischen Teufelskreis durchbrechen zu können. Die Telematie ist ein Projekt, das dem Neuen und der Zukunft verzweifelt entgegenjagt, um sie zu ´vergegenwärtigen´. Der damit verbundene Bruch mit der Geschichte ist zwar einerseits konsequent, da die Sicht auf das Neue frei wird, andererseits aber wäre auch ein genereller Komputations-Stop sowohl eine grundlegende Komputation als auch eine Zukunftsinvestition.

Ungeprüft übernimmt Flusser auch die Gleichsetzung der Datenverarbeitungsqualität von Mensch und Apparat. Er ignoriert die Inkompatibilität von Komplexität und Struktur, weshalb er - ebenfalls konsequent - den historischen Menschen in den Sand setzt. Doch Flusser war Provokateur und Störenfried, auch weil er die Telematie an ein Ende dachte, an dem der Mensch eine anderer ist. Sosehr Flussers Schriften verführerisches Gift für eine alles andere als ´aufgeklärte´ Kultur sind, so hält er als Gegengift die Warnung bereit, der Mensch verkümmere zu einem ´Anhängsel der Apparate´. Die Gleichsetzung von Mensch und Apparat ist unter diesem Gesichtspunkt insofern eine Provokation, als Flusser die ´Synergie´ von Mensch und Apparat, um die sich eine ganze Heerschar von Forschern bemüht, nur kommentiert. Da Flusser erkennt, daß die Gleichschaltung von Mensch und Apparat als ´Anlage des gegenwärtig laufenden Programms´ automatisch auch die Nutzer gleichschaltet, fordert er unermüdlich dazu auf, aktiv zu werden und die Tasten der Terminals verantwortungsbewußt zu drücken. - Die "Technik ist gegenwärtig eine zu erste Sache, um Technikern überlassen werden zu können" (1990, 56).

Ob der Zeitgenosse überhaupt fähig ist, Verantwortung zu tragen, wird sich erst in der Reife der Nachgeschichte zeigen. Die Verantwortung voranzutreiben freilich gilt: "Der revolutionäre Umbau des gegenwärtigen Schaltplans der technischen Bilder in einen dialogischen, demokratischen setzt voraus, daß diesbezüglich ein allgemeiner Konsenus besteht. Die Leute müssen es wollen" (ebd.). Sogar der zum Nutzer mutierte Rezipient aber begnügt sich mit ´Massenkultur´, denn die ´Leute wollen von den Bildern zerstreut werden´ (vgl. 56f) - eine Tatsache, die jedwede Zukunftseuphorie trübt und sogar Flusser zum Pessimisten macht: "Die Menschen werden wahrscheinlich schlechter, aber die Technik wird besser ... Der Mensch verdient kein Vertrauen ... Ich finde den Menschen überhaupt nicht sympathisch" (1996, 222ff). Nicht die Technik also ist das Problem, sondern der Umgang mit ihr.[1]

Die Telematie ist kein Technologiepark, der im menschenleeren Raum installiert wird. Umso wichtiger sind die Bemühungen, Programm und Lebenswelt, Komplexität und Struktur zu entwirren und die Wahrnehmung als körperliche Aktivität zu ihrem Recht kommen zu lassen. Erst dann wird die Nachgeschichte zu einer ´wahrscheinlichen Zukunft´, in der es noch Menschen gibt. Mit Kamper wird deutlich, daß eine unreflektiert an die Apparate gebundene Wahrnehmung einerseits mit Blindheit bestraft wird, daß die Wahrnehmung aber andererseits womöglich bereits fortgeschrittener ist, als es ihr Denken weiß: Die Telematie wartet auf bessere Zeiten, sie wartet auf ihr Gewahrwerden unter nachgeschichtlichen Bedingungen. Solange sie aber wahrnehmungstaktisch nur die Verlängerung des Alten feiert und den sinnesakrobatischen Sprung verweigert, gilt Flussers paradoxer Ratschlag: "Eine nicht zu unterschätzende Leistung müssen wir vollbringen, nämlich eine Zukunft zu lieben, die dabei ist, uns aufzufressen. Und zwar ... im vollen Bewußtsein des Aufgefressenwerdens" (1990b, 106). 

 



[1]Die Schlußworte seines ´Ins Universum der technischen Bilder´ zeigen, in welcher Verantwortung der Bilder klonende Komputator steht: "Was dieser Essay zu erzählen versucht hat, ist eine Fabel. Er erzählt von einem fabelhaften Universum ... er erzählt davon voller Hoffnung und zugleich mit Furcht und Beben. Denn die Fabel, die er erzählt, ist eine Katastophe, so wie sie daran ist, aus ihrer Schale zu brechen. Und diese Schale sind wir" (Flusser 1990, 139).