4. Kommunikaze!

 

Da das Wissen in den Apparaten als Information zirkuliert, dem erst menschlich Leben ´eingehaucht´ werden kann, ist zu fragen, welchen Einfluß das Wissen in der Symbiose von Mensch und Apparat auf die Kommunikation hat. Was bedeutet Kommunikation, wenn Apparate "zu geselligen intellektuellen Partnern des Menschen werden" (vgl. Brand 1990, 188), wenn aber strukturelles Wissen den komplexen Sinn gefangenhält?

 Zwischenmenschliche Kommunikation ist weder identisch mit apparatimmanenter Kommunikation noch mit jener zwischen Mensch und Apparat. Grundlage der apparatimmanenten Kommunikation sind die 0-1-binären Codes. Sie behandeln das menschliche ´Reden´ simulatorisch als Kommunikation und setzen technische Kenntnisse zur Handhabung voraus, die in der natürlichen Kommunikation überflüssig sind. Kommunikation ´fließt´ als eine Art Informations´strom´, der erst zu ´knacken´ ist, soll sich das Kommunizierte menschlich komplex entfalten. Erst wenn die Codes in Stimme, Schrift oder Bild decodiert sind, können die kommunizierten Informationen imaginiert werden - und Antworten erfolgen. Erst dann ist das Menschengehirn gefordert.

´Gesellig´ aber gelten Apparate schon, wenn ein output erfolgt. Es zählt informationstechnologisch zu Kommunikation, wenn Staubsauger piepsen, wenn Kaffeemaschinen ´die Kanne ist voll´ signalisieren und wenn Geldautomaten Buchungsbelege ausdrucken. Derartiger Output ist das Ergebnis struktureller Justierung. Wenn die Kommunikation aber apparatimmanenten Befehlen genügt, ist das Klingeln des Telefons sogar informativer als das danach geführte (redundante) Gespräch, die Warnung eines Textverarbeitungsprogramm vor drohendem Programmabsturz ist dann informativer als der abstürzende Text, und das Sprechen eines Roboters ist informativer als das Ausgesprochene selbst.

Kennzeichnend für die sogenannte ´Informationsgesellschaft´ ist die Tatsache, daß Informationen kybernetisch verarbeitet werden. Apparatische Kommunikation ist reiner Datentransport. Er definiert Kommunikation dadurch, daß 'etwas fließt'. Jenseits der kybernetischen Befehle - vom Menschen aus gesehen diesseits - aber gibt es derartige Kommunikation nicht. Menschliches Reden übersteigt das Funktionale des Kommunikationsbegriffs und der nach ihm benannten Kommunikation. "Kommunikation kommt nur zustande, wenn jemand sieht, hört, liest - und so weit versteht, daß eine weitere Kommunikation anschließen könnte. Das Mitteilungshandeln allein ist ... noch keine Kommunikation" (Luhmann 1996, 14).

Menschliches Reden ist konnotativ vielschichtig und potentiell paradox, es ist mehr als Input-Output-Reaktion. Kommunikation als Transport aufzufassen hat folglich nichts mit menschlicher Kommunikation zu tun, denn das Moment des Fließens ist technologisch wichtiger als das, was fließt. Meßbare Werte dominieren dann einen Sinn, der nicht gemessen werden kann. Luhmann rät denn auch, "auf die Vorstellung zu verzichten, Informationen könnten, wie kleine Partikelchen, von System zu System transportiert werden; sie seien gleichsam unabhängig vom Benutzer vorhanden" (1996 39). Kommunikation übersteigt die funktionale Ebene des 0-1-Binären.  

Dank der Neuen Technologien aber nimmt apparatische Kommunikation insofern zu, als der Mensch daran gar nicht mehr beteiligt sein muß. ´Intelligente Häuser´ führen den Haushalt zusehends in Eigenregie, Videorecorder und Anrufbeantworter setzen auf ´Herrchens´ Abwesenheit, Datenbanken und über digitale Leitsysteme vernetzte Autos kommunizieren bereits autonom, und das internationale Bankwesen, der Konsummarkt und militärische Überwachungsprogramme wären ohne data flow gar nicht mehr existent. Kommunikation wird dem menschlich-apparatischen Kommunikationsprozeß irrelevant, wenn die Dinge selbst miteinander kommunizieren. Deren ´Geselligkeit´ aber betrifft nur die Tatsache, daß ein Output erfolgt, nicht der Sinngehalt des Vermittelten - selbst wenn sie Wissen austauschen sollten. Damit wird ´das Bewußtsein davon, was Kommunikation überhaupt ist, neu definiert´ (vgl. Fiehler 1994, 524f). Die Anschlußbedingungen der Apparate legen fest, was Kommunikation ist.

Wenn aber ´hinter den Programmen immer weniger menschliche Absicht erkennbar´ ist (vgl. Flusser 1990b, 141), ´ist die zentrale Stellung des Codes die eigentliche Definition der Macht´ (vgl. Baudrillard 1978, 22). Sie verbietet sich jedes ´Reden´, denn ´zu optimaler Kommunikation kommt es erst, wenn der Inhalt getilgt ist´ (vgl. ders. 1992, 59). Das Digital macht aus dem Rezipienten einen Rezeptomat für die ´unbefleckte, pure Empfängnis´ des Informationsstroms (vgl. Reiss 1995, 89). Auch in der interaktiven Kommunikation zählt weniger, mit wem man redet oder worüber man spricht, sondern die Kommunikation an sich. - "Warum", so fragt Baudrillard, "miteinander sprechen, wo es so einfach ist zu kommunizieren?" (1992, 63). Information ist, was widerstandslos durchs Gehirn gleitet, ohne Spuren auf der innerhirnlichen Festplatte zu hinterlassen. "Nichts zu sagen zu haben, um besser zu kommunizieren" (ebd. 58) ist die Bedingung der reibungslosen Digitalkommunikation, denn ´die Realität der Massenmedien besteht aus ihren eigenen Operationen: aus der apparatinternen Kommunikation´ (vgl. Luhmann 1996, 12f). Baudrillard zufolge "darf [es] keine Aktion geben außer derjenigen, die aus einer Interaktion hervorgeht ... Die Operation ist im Gegensatz zur Aktion dadurch gekennzeichnet, daß sie zwangsläufig in ihrem Ablauf gesteuert wird - sonst kommuniziert es nicht. Es spricht, aber es kommuniziert nicht. Die Kommunikation ist operabel oder sie ist keine. Die Information ist operabel oder sie ist keine" (1992, 55f). Die Neuen Medien also reproduzieren ihre eigenen Operationen als Sinnplacebo.

Apparatische Informierung hat folglich nichts mit menschlich komplexer Kommunikation zu tun. Der Output der Apparate ist, menschlich gesehen, keine Kommunikation, da er sich - im Sinne Luhmanns - in einem anderen System, dem des Digitals abspielt. Luhmann trifft die ´für die neuerdings aufkommende, durch die Erfindung der Computer stimulierte Tendenz´ wichtige Unterscheidung, "´schief´ liegt der Versuch ... den Maschinenbegriff auf der Ebene der allgemeinen Systemtheorie zu verwenden"  (vgl. 1988, 17)[1] - den menschlich kommunikativen Prozeß also mit technologischer Vermittlung gleichzusetzen. Die technologischen Strategien können den lebensweltlichen ´sozialen Systemen´ kommunikativ nicht genügen: Gilt die menschliche Kommunikation dennoch als dem apparatischen Austausch vergleichbar, wird Funktionalität und Struktur mit Komplexität verwechselt.

Das menschliche Reden, das fälschlicherweise Kommunikation genannt wird, wird dann umsomehr korrumpiert, als aus der ´Sicht der Apparate´ gilt: "wer ohne Kommunikation zu genießen vorgibt, ist ein Tier" (Baudrillard 1992, 56). Menschliche ´Kommunikation´ ist - technisch besehen - etwas zutiefst ´Unmenschliches´, denn sie widerspricht der Logik des Digitals. Wer nur jenseits der Vernetzung agiert, gilt als inkompetent, und wer nicht Anteil am Netzleben nimmt, ist den Netz´bewohnern´ inexistent. Da menschliche Kommunikation den Apparaten inkompatibel ist, wird bei der Netzkommunikation erwartet, auf das menschlich Komplexe zu verzichten. Erst wer der Niedrigkomplexität entgegenkommt, kann als Kommunikationspilot, der Informationsgeschosse abfeuert, zum Helden der Digitalwelt werden. 

Die Befürchtung, daß das Wissen heute nichts mehr nützt, weil es kommunikativ nicht in Erfahrung mündet und der Niedrigkomplexität geopfert wird, bedeutet aber nicht, daß es informationstechnologisch wertlos ist. Ganz im Gegenteil: Die Pointe des Digitals ist, daß der Homo Copy gerade laufen lernt. Er nährt sich von allen zur Verfügungen stehenden Informationsfraktalen. All die in die Rechner gestürzten Wissensfragmente entwickeln im digitalen Technotop ein elektronisches ´Eigenleben´. Die Informationstechnologien behandeln die Informationen wie die Gene der DNS und die unterschiedlichsten Wissenschaften bemühen sich, die Informationen zu klonen.

Da aber die simulierten Gene noch lange nicht zum Denken führen, wird auch der Homo Copy nur eine Informationsansammlung sein, die kaum über den Tellerrand ihrer Strukturen hinaus wird reflektieren können. Der menschlich komplexe, ´nichteinholbare Rest´, der den Menschen zum Menschen macht, wird dem Homo Copy kaum einzuhauchen sein, da sich das Unberechenbare der Zählbarkeit und Meßbarkeit verweigert. Die Apparate verbleiben strukturell berechenbare Verschaltung und damit unterhalb der menschlichen Komplexitätsschwelle, selbst wenn ihre Strukturen umfassender und komplizierter werden. Allein auf Niedrigkomplexitätsniveau werden sie zusehends perfekter. Der Mensch dagegen ist unkalkulierbarer und komplexer ´Individualist´ und sein Gehirn Berechenbarkeit übersteigende Komplexität - sofern er sich dieser evolutionär entwickelter Vorteile weiterhin bedient.

 



[1]Soziale Systeme entwickelten sich nur bei "hinreichender Gleichartigkeit der Elemente", so Luhmann: "Es kann ... keine Systemeinheit von mechanischen und bewußten, von chemischen und sinnhaft-kommunikativen Operationen geben. Es gibt Maschinen, chemische Systeme, lebende Systeme, bewußte Systeme, sinnhaft-kommunikative (soziale) Systeme; aber es gibt keine all dies zusammenfassenden Systemeinheiten" (1988, 67). Apparate gehören folglich nicht der ´Umwelt´ sozialer Systeme an, sondern sind ´nur´ Träger von Botschaften, die - sozial - erst aktiviert werden müssen, um ´Umweltbedingung´ zu werden.

 

 

 

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